Rubrik 2
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Biographie Heinz Drossels

Franziska Kleintges

Von der Machtübergabe an Hitler bis zum Ausbruch des Krieges

Heinz Drossel – Ein Humanist und Menschenfreund

Als am 30.1.1933 Adolf Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wird, findet am Abend vor dem Brandenburger Tor in der Straße Unter den Linden ein Fackelumzug statt. Auch Heinz Drossel entschließt sich dazu, in die Stadt zu fahren und sich den Umzug anzusehen. Er hat den Eindruck, dass alle verrückt geworden sind. In dem Feuerschein der Fackeln, der am Himmel rot reflektiert wird, sieht er ein Menetekel1.

Im Februar 1933 hat sich äußerlich nicht viel geändert, bis auf die Flaggen, die bei jeder Gelegenheit herausgehängt werden. Bald wird Heinz Drossels Vater, Paul Drossel, von Kunden gedrängt, Hakenkreuzfahnen zu verkaufen. Er verkauft die Fahnen zwar, meist an Nichtnazis, hängt aber selber keine hinaus.

In der nächsten Zeit verschwinden immer häufiger Menschen, die meist nach etwa sechs Monaten wieder kommen, man weiß nichts über sie, als dass sie in einem „KZ“ waren.

Am 12.2. erlässt Hermann Göring einen Schießbefehl, außerdem wird eine Hilfspolizei aus SA-Männern eingerichtet.

Bei einem Besuch bei einer Tante, die neben einem KZ lebt, sieht Heinz Drossel, wie schlecht die Gefangenen behandelt werden: Am Morgen müssen sie schwere Steine in eine Ecke des Lagers tragen, am Nachmittag müssen sie diese wieder zurück tragen.

In der Nacht vom 27.2. brennt der Reichstag, von da an kommt es zu den ersten größeren öffentlichen Ausschreitungen.

Am 28.2. ergeht die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, für deren Verkündigung der Brand des Reichstags zum Anlass genommen wird. Sie setzt die Bürgerrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft.

Obwohl die NSDAP bei den Reichstagswahlen am 5.März 1933 nur 43,9% der Stimmen bekommt, wird am 23. März das „Ermächtigungsgesetz“ angenommen. So darf der „Führer“ von jedem Verfassungsgrundsatz abweichen.

Plötzlich gibt es so viele Eintrittserklärungen in die Partei, dass es sogar eine „Aufnahmesperre“ gibt.

Am 1.4.1933 wurden jüdische Geschäfte boykottiert und die Schaufenster mit „Jude“ beschmiert. Auch das Geschäft von Paul Drossel wird mit „Jude“ beschmiert, vermutlich, weil sie keine Hakenkreuzfahne hinausgehängt hatten. Danach beschafft sich Paul Drossel eine winzige Hakenkreuzfahne.

Es gibt keine öffentliche Opposition oder Kritik mehr, auch die ausländischen Staaten schauen zu oder sympathisieren mit den Nazis.

Heinz Drossel gehörte in dieser Zeit zwei Zirkeln an. Bei seinem guten Freund Poldi treffen sich junge Menschen, die den Verlauf der Dinge beobachten und analysieren und Informationen sammeln. Widerstand können sie keinen leisten, aber es wird häufig darüber diskutiert.

Der andere Zirkel besteht aus den Tempelhofer Geschäftsleuten. Sie versammeln sich bei Drossels zu Hause um Sondersendungen von ausländischen Sendern in deutscher Sprache zu hören und hinterher darüber zu diskutieren.

Die Tempelhofer Geschäftsleute wollen ihre Unabhängigkeit bewahren. Deshalb schicken sie Heinz Drossels Vater zu einer Versammlung der „Nationalsozialistischen Handelsorganisation“, wo er eine Rede hält. Der Veranstalter entzieht ihm das Wort und erklärt die Versammlung ohne weitere Stellungsnahme für geschlossen. Die Geschäftsleute versuchen nie mehr „politisch tätig“ zu werden, aber keiner von ihnen tritt in die Partei ein.

Am 10.5. brennen überall in Deutschland auf Scheiterhäufen Bücher von „Autoren des Ungeistes“. Bei Heinz Drossels Freund werden „Literatenzirkel“ abgehalten, Dichterlesungen mit literarischen Diskussionen. In Heinz Drossels Bibliothek erhalten diese Bücher einen Ehrenplatz.

Immer mehr Jungen aus Heinz Drossels Klasse treten in die Hitler-Jugend ein. Auf Drängen eines Klassenkameraden sieht er sich die Sache einmal an, findet es aber „langweilig, geistlos und sinnlos“ und lässt sich von seinem Hausarzt eine Bescheinigung schreiben, dass er nicht in der Lage sei, „sich in Organisationen irgendwelcher Art zu beschäftigen“.

In der Nachbarschaft wurde ein Kaufhaus, das dem vorherigen Besitzer, einem Juden, enteignet worden war, eröffnet. Bei der prunkvollen Eröffnung lässt Heinz Drossel Stinkbomben fallen. Das Gebäude wird geräumt und am nächsten Tag ohne Eröffnungsfeier eröffnet.

Die Sommerferien verbringt Heinz Drossel bei seiner Großmutter, der Stiefmutter seines Vaters, in Stralsund.

Heinz Drossel besucht nun die Oberstufe. Immer mehr Jungen sind in der HJ und auch die Lehrer sind meist in der Partei. Außerdem werden Tafeln aufgestellt, in denen „Der Stürmer“ ausgehängt wird.

Bei einer Sammelaktion des „Winterhilfswerks“ bewahrt Heinz Drossel einen betrunkenen Mann davor, zu viel Geld zu spenden, obwohl er dafür Ärger bekommt.

Am 30.1.1934 werden alle Länderparlamente aufgelöst, was bedeutet, dass alle Macht in Berlin beim „Führer“ liegt.

Am 30.6.1934 werden SA-Führer gefangengenommen und ermordet. Dies wird von den Nazis als Maßnahme gegen einen angeblich bevorstehenden Putsch, als Röhm-Putsch bekannt, dargestellt.

In den Sommerferien reist Heinz Drossel mit seiner Mutter nach Bayern in die Berchtesgadener Alpen.

Am 2.8.1934 stirbt der Reichspräsident Hindenburg und Adolf Hitler erklärt sich zum alleinigen „Führer“.

In der folgenden Klasse hat Heinz Drossel einen jüdischen Klassenkameraden, mit dem er bald innig befreundet ist.

Familie Drossel hat zu einem Kundenehepaar besonders gute Beziehungen. Eines Tages kommt die Frau mit der Nachricht, dass ihr Mann verschwunden sei, zu ihnen. Heinz Drossel will ihn suchen gehen. Er landet bei der Gestapo und hat Glück nach einigen angsterfüllten Stunden wieder herauszukommen. Der Mann kommt am Abend wieder nach Hause, er wurde 2 Zimmer weiter verhört.

Heinz Drossel nimmt einem Zeitungsmann, der im KZ war und um dessen Gesundheit es nicht besonders gut steht, jeden Tag eine Stunde die Arbeit ab. Dafür besorgt dieser ihm ausländische Zeitungen.

Im Jahre 1935 gibt es immer mehr Nazis, die Unterdrückung und die Unsicherheit nehmen zu.

Am 16.3. wird die allgemeine Wehrpflicht eingeführt.

In den Sommerferien macht Heinz Drossel Urlaub in Bayern, wo er mit einigen anderen netten Leuten, die er dort kennen gelernt hat, den Watzmann überschreiten will. Dabei überschreiten sie die österreichische Grenze, die zu dieser Zeit gesperrt ist, übernachten in Österreich, doch sie bekommen keine Probleme, da dies keine Seltenheit ist.

Im Februar 1936 besteht Heinz Drossel sein Abitur. Das bedeutet auch, dass er von seinem jüdischen Freund Abschied nehmen muss, der Deutschland so schnell wie möglich verlassen will.Trotz Verbot geht er mit ihm in ein Café, ein Nazi erkennt „den Juden“ und lässt sie aus dem Lokal werfen. Heinz Drossel ist wütend und beschämt darüber.

Heinz Drossel will es als Journalist versuchen, doch er findet keine freie Presse mehr.

Da er sich vom Wehrdienst zurückstellen lassen hat, muss er Arbeitsdienst in Bad Wilsnack leisten. Dort muss er Gräben ausheben. Als Fahrräder angeschafft werden, damit sie schneller zum Arbeitsplatz gelangen können, behauptet Heinz Drossel, er könne nicht Fahrradfahren. So drückt er sich einige Tage um die Arbeit.

Bald haben er und seine Freunde aber relativ viel Freizeit, da sie versetzt werden und sich schnell aufeinander eingestimmt haben.

Die Bedingungen im Lager sind schlecht, nachts gibt es oft Unterbrechungen, sie werden um 4.30 Uhr schon geweckt und nach dem Frühstück und der Flaggenparade geht es an die Arbeit. Nachmittags gibt es „Spatenexerzieren“. Außerdem haben sie kaum Urlaub. Das Essen ist schlecht und eintönig, nach einem Aufstand wird es allerdings besser.

Im Sommer wird auch bei der Heuernte geholfen. Heinz Drossel und seine Freunde werden noch etwas länger bei der Getreideernte behalten, als sie wieder im Lager ankommen, ist die Lagerbesatzung schon zum Reichsparteitag in Nürnberg abgerückt, weshalb die Nachzügler den Reichsparteitag verpassen, doch sie sind nicht besonders enttäuscht.

Wieder zu Hause entscheidet sich Heinz Drossel dazu, Jura zu studieren. Allerdings wird für die Immatrikulation ein Nachweis „politischer Betätigung“ verlangt. Heinz Drossel schafft es, sich eine schriftliche Bestätigung zu besorgen.

Er findet keinen Anschluss an geheime Zirkel oder Widerstandsgruppen, aber er findet eine katholische Verbindung. Doch nach einem Treffen wird die Veranstaltung verboten und die Verbindung aufgelöst, trotzdem haben die Mitglieder noch Kontakt zueinander. Sie unternehmen einiges zusammen, können aber nicht mehr tun.

Am Beginn des zweiten Semesters wird wieder ein Nachweis „politischer Betätigung“ verlangt, doch diesmal lässt sich Heinz Drossel mit einem gefälschten Ausweis ausstatten.

Im zweiten Semester beginnt er zu ahnen, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt.

Das Wintersemester 1937/1938 bringt sehr viel Arbeit, er lernt außerdem noch Russisch und liest viele verbotene Bücher.

Im März 1938 marschiert Hitler in Österreich ein, in Deutschland wird die Lage „brisant“. Deshalb sucht Heinz Drossel nach einer Möglichkeit für ein Auslandsstudium. Er hat tatsächlich die Möglichkeit, in die Schweiz zu gehen, wäre dort aber der Auslandsorganisation der NSDAP unterstellt. Das würde für ihn bedeuten, dass er Spitzel werden soll, was für ihn natürlich nicht in Frage kommt, so lehnt er das Angebot ab.

Am 10.4.1938 finden die letzten freien Wahlen im Dritten Reich statt. Es geht um die Bestätigung des „Anschlusses“ von Österreich an Deutschland. Er soll auf Geheiß eines SA-Mannes sein „Ja-Kreuz“ gleich öffentlich am Tisch neben der Wahlurne setzen, doch er besteht als einer der Wenigen auf einer Wahlkabine und ist einer der Wenigen, die ein „Nein-Kreuz“ setzen.

Er schreibt aber in „Die Zeit der Füchse“, dass er noch von seiner Großmutter in Stralsund übertroffen wurde. Sie war bereit, ihr Kreuz gleich am Tisch zu machen, doch bat sie einen SA-Mann, es ihr zu setzen, da sie „ihre Brille vergessen hatte“. Sie wollte „Nein“ ankreuzen, und sie zeterte so lange herum, bis der SA-Mann tatsächlich „Nein“ ankreuzte.

Im Sommersemester bekommt Heinz Drossel von seiner Tante Betty eine Einladung nach Italien. Hier gibt es vielleicht noch eine Chance auszuwandern. Er bekommt nach einer Woche die Erlaubnis, Deutschland für ein Jahr zu verlassen, außerdem einen Pass mit Freistellung durch die Wehrmacht und ein Schweizer Visum.

In der kleinen Pension seiner Tante in San Remo in Ligurien lernt er Land und Leute kennen und auch Italienisch. Er versucht, eine Gelegenheit zum Auswandern zu finden, doch er findet keine. Er ist oft in Frankreich an der Côte d’Azur, was ihm keinen Nutzen bringt außer einem besseren Französisch. Er hält sich auch oft im Spielcasino von San Remo auf, um die Leute zu beobachten. Nur einmal spielt er selbst, als Tante Betty ihm 100 Lire schenkt und ihn auffordert, damit zu spielen. Er hat am Ende 2000 Lire, nimmt sich aber vor, nie mehr zu spielen.

Im September rücken Hitlers Truppen auf die Grenze Frankreichs zu, unter den Emigranten bricht regelrecht Panik aus und sie wollen Europa verlassen. Am 29. und 30. 9. ist eine Konferenz in München, niemand weiß, ob es Krieg geben wird, aber die Truppentransporte hören auf. Das „Münchner Abkommen“ wird getroffen, wonach das Sudetengebiet zu Großdeutschland gehört und die Tschechoslowakei ein Rumpfstaat wird.

Ein befreundetes jüdisches Ehepaar bietet ihm an, mit ihnen auszuwandern. Heinz Drossel lehnt dies ab, denn sie wollten ihren letzten Schmuck für eine Fahrkarte für ihn verkaufen. Heinz Drossel entschließt sich zur Rückkehr nach Deutschland, um noch zwei Semester Jura zu studieren, damit er wenigstens einen Abschluss hat.

Auf dem Rückweg macht er noch drei Wochen Urlaub am Lago di Como, wo er das Zusammentreffen mit einer schwarzen Bergviper überlebt. Daraufhin sagt ihm ein alter Mann ein langes Leben voraus.

Im November 1938 ist er wieder in Berlin, wo er sich sofort für das Wintersemester einschreibt.

Da er den Abschluss in sechs Semestern und nicht wie gewöhnlich in sieben schaffen will, muss er sehr viel lernen („büffeln“). Deshalb macht er jeden Tag einen längeren Spaziergang. Auf einem der ersten schenkt ihm ein etwa zwei- bis dreijähriger Junge einen schönen Stein und fängt an, mit ihm zu reden. Die Mutter, Heinz Drossels spätere Frau, kommt hinzu und sie wechseln einige Worte. Als er am 10.11.1938 morgens im Zug sitzt, bekommt er mit, dass die Synagogen brennen. Er steigt aus und geht zur Fasanenstraße, wo sich eine der größten Synagogen befindet. Sie ist schon halb eingestürzt, als er dazukommt, trotzdem rollen einige SA- Männer Benzin- und Ölfässer durch den Eingang, damit es besser brennt.

Er geht zu Fuß weiter und sieht, dass am Kurfürstendamm alle Schaufenster zertrümmert und die Fensterscheiben eingeschlagen sind.

Sein Repetitor für das Examen behandelt an diesem Tag das Thema Brandstiftung, bricht aber ab und schickt die Studenten weg mit der mutigen Bemerkung, dass sie vielleicht noch „ein paar jüdische Diamanten“ auf den Straßen finden könnten.

Als einmal die „Reichsfrauenführerin“, Gertrud Scholtz-Klink an der Universität einen Vortrag hält, ist der Hörsaal brechend voll, doch die Studenten sind nur gekommen, um sie mit viel Gelächter von der Bühne zu verjagen, da sie für sie nur eine Art Witzfigur ist.

Ende Januar 1939 soll ein Bischof verhaftet werden. Viele Studenten, darunter auch Heinz Drossel, laufen zum Bischofspalais, der sich gegenüber der Universität befindet. Viele Menschen versammeln sich davor und singen stundenlang Kirchenlieder, so lange, bis ein SS-Offizier verspricht, dass der Bischof nicht verhaftet wird.

Am 15.3.1939 marschieren die deutschen Truppen in Prag ein. Die Westmächte beginnen mit der Aufrüstung.

Im neuen Semester besucht er mit einigen anderen ehemaligen Mitgliedern der katholischen Verbindung den Volksgerichtshof. Die Angeklagten, eine Gruppe von Kommunisten, die Flugblätter verteilten, imponieren den Studenten sehr.

1936 hielt Ernst Wiechert in der Münchener Universität eine Rede, in der er an die Studenten appellierte, sich kritisches Denken gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie zu bewahren. Heinz Drossel schreibt sie mehrmals ab und die Exemplare werden von einigen Studenten heimlich ausgelegt.

Am 23.8.1939 schließen Deutschland und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt.

Am 3.9. erklären die Westmächte Deutschland den Krieg.

Heinz Drossel schafft am 27.11. nach nur sechs Semestern das juristische Staatsexamen mit Prädikat. Am nächsten Tag stellt er einen Antrag auf Übernahme in den Referendariatsdienst beim Kammergericht. Er wird abgelehnt, da er sich weigert, in die Partei einzutreten. Schon am nächsten Tag erhält er einen Eilbrief mit der Nachricht seiner Einberufung.

1Vorzeichen drohenden Unheils

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